Krupp, der Kolonialwarenhandel und die ersten Hütten
vor der Marktkirche / Markt 2

Für die Entwicklung der Stadt und das Leben in Essen ist die Rolle Krupps von immenser Bedeutung. Ob Krupp-Siedlungen, Konsumanstalten, die Kruppschen Krankenhäuser… Noch immer steht Krupp für Fortschritt, Qualitätsarbeit und dem Mythos der Ruhrindustriellen schlechthin. Doch wer hätte gedacht, dass noch weit vor der Berühmtheit des Essener Stahl-Unternehmers wesentliche Anteile des Kapitals für die erste Hütte durch den Handel und Schmuggel mit Kolonialwaren erwirtschaftet wurden?

SPRECHER/IN Z (Holger)
Die dankbare Vaterstadt

SPRECHER/IN B
Essen – ist damit gemeint.
Geht man –und sieht man – auf die Rückseite vom KRUPP Denkmal –auf den Sockel , vor der Marktkirche, dann liesst man, was die Stadt
Essen ihrem damals schon bekanntesten Einwohner und Ehrenbürger für die die Ewigkeit eingemeisselt hat
Wie ein Absenderadresse – auf der Rückseite des Denkmalsockels.
verfasst von dem Essener Stadtverordneten – vor knapp 130 Jahren.

SPRECHER/IN Z (Holger)
Die dankbare Vaterstadt

SPRECHER/IN A
Am 4 Juli 1887 ist Alfred Krupp gestorben – und nur drei Wochen später steht die offizielle Entscheidung der Stadtverordneten – das Denkmal zu errichten. Eine – auch damals schon – enorme Geschwindigkeit für einen städtischen Verwaltungsakt.
Die Umsetzung zieht sich dann doch noch 2 Jahre hin –
und dann, genau 2 Jahre nach dem Tod von Alfred Krupp –
es ist ein Sonntag, der 14. Juli 1889 –
– ist es ausserordentlich voll auf dem Marktplatz in Essen-Mitte.
SND Menschenmenge
…gedrängelt voll –
nicht mit Marktgeschrei und Gemüseangeboten;
sondern, hier, vor der Marktkirche drängelt sich vor allem die Essener Bürgerschaft.

Man betrachtet es als ein Zeichen der Dankbarkeit für einen, der Essen groß gemacht hat – und mit seiner Stahl und Waffenschmiede sogar geholfen hat, Deutschland – nach dem Sieg über Frankreich 1871– zum Deutschen Reich – zum Kaiserreich zu einigen.

Die Begeisterung für Krupps Waffentechnologie und -produktion ist weit verbreitet; sei es für das Deutsche Reich – und sogar für die zahlreichen Waffenexporte nach Übersee.

SPRECHER/IN Z (Holger)
„Kein grösserer Gegensatz lässt sich denken, als der zwischen der ältesten Vergangenheit von Essen und seiner Gegenwart. Welche eine Entwicklung von einem Nonnenkloster zur grössten Waffenschmiede der Welt“

SPRECHER/IN B
begeistert sich die deutschen Kolonialgesellschaft zu ihrer Hauptversammlung in Essen. Juni 1905.

SPRECHER/IN A
Eine der treibenden, äusserst einflussreichen Kräfte in Deutschland, die sehr energisch und geschickt Deutschland zu Kolonialer Größe bringen wollte; wie es hiess. Spät – aber zu Recht;
wie der Außenminister von Bülow fordert:

SPRECHER/INXYZ
SND Soundscape hist. Parlamentsgetöse/Zwischenrufe
(Bravo!)
„Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ, dem anderen das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thront


SND Soundscape hist. Parlamentsgetöse/Zwischenrufe
(Heiterkeit – Bravo!)
– diese Zeiten sind vorüber […] Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.

SND Soundscape hist. Parlamentsgetöse/Zwischenrufe
(Bravo!)“

O-TON Peter Hiedl
#000309# Die Deutschen sind ja als Kolonialreich – in Anführungsstrichen – absolut zu spät gekommen. Ne. Da waren ja …die Spanier als erste… dann die Niederländer als zweite und die Engländer als Dritte – hatten sich sozusagen – mehr oder weniger – die Erde aufgeteilt.

SPRECHER/IN B
Die Frage für Essen – und zugleich für Krupp – was kaum voneinander zu lösen ist, ist ja:

O-TON Peter Hiedl
#000017# Was hat Essen als Stadt überhaupt mit Kolonien und mit kolonialen Errungenschaften zu tun?

SPRECHER/IN B
Die beiden Essener Geschichts- und Kolonialismusforscher Sabine Jecht und Peter Hiedl haben vor einigen Jahren schon begonnen, zur kolonialen Geschichte Essens zu recherchieren…

O-TON Peter Hiedl
Der Ankerpunkt war das Jubiläum der 500 Jahre Entdeckung – Entdeckung und Eroberung – Amerikas. 1492.

SND Filmmusik

SPRECHER/IN A
Entdeckung und Eroberung Amerikas – Christoph Columbus, Spanien im Wettlauf mit Portugal – England, Empire, Missionierung, Sklavenhandel…

SPRECHER/IN B
Die Essener Stadtgeschichte scheint – auf den ersten Blick – mit all dem nicht viel zu tun zu haben. Lange Zeit ist – zumindest von aussen gesehen – Essener Geschichte eher Verbunden mit beschaulichem Handwerk; Kirchenstift; Essener Geschichte scheint fast vollständig überlagert – mit der der Geschichte des Ruhrgebiet – den Kern der Industrialisierung – Tagebau, Montanindustrie, Stahlfabrikation – frühestens Mitte, Ende 19ten Jahrhundert.

SPRECHER/IN B
Peter Hiedl:

O-TON Peter Hiedl
#000031# Warum – das Ruhrgebiet gilt ja eigentlich als Industrieller Schwerpunkt. Aber eigentlich taucht es ja in der Weltgeschichte als Schwerpunkt auf – eigentlich erst so Mitte des 19ten JH.; Wenn du ans Ruhrgebiet denkst, denkst du an Kohle und Stahl. Wir haben eben gedacht – gibt es irgendwelche Vorläufer, die weiter zurückgehen und diesen Städtischen Reichtum irgendwie begründen? kommt das aus dem Nichts? – so eine Ansammlung von Vermögen, die dann in den Bergbau und Stahlproduktion übergeht.

SPRECHER/IN B
Und tatsächlich – gibt es besonders eine Verbindung – die als Inbegriff des Industriezeitalters zugleich auch rückreicht ins Koloniale Zeitalter; rings um das gerade erst entstehende Deutschland herum, wie es scheint.
Alfred Krupps Reichtum, sein persönliches Vermögen wie das der Krupp Famile und all die Investitionen in Stahlfabrikation stemmt man – auch als begeisterter Unternehmer – nicht mal einfach so aus Überzeugung.

SND KAFFEsounds (steamer?/Bohnen?/Plantagen?)
Ein Verbindungsstück des alten, vorindustriellen Essen und des kapitalstarken Industriezeitalters – war der Kolonialwarenhandel der Firma Krupp – im allgemeinen – und der Kaffeehandel insbesondere…

Sabine Jecht:

O-Ton Sabine Jecht
#000108# Ein Verbindungsstück war der Kaffeehandel der Firma Krupp; das hat uns auch sehr überrascht, dass die Firma Krupp ursprünglich gar nicht mit Stahl zu tun hatte – sondern mit Kolonialware. Das kam eben dadurch, dass der ursprüngliche – sozusagen – Stammvater, das war Jodocus Krupp, und der betrieb seit 1732 ein Kolonialwarengeschäft.

SPRECHER/IN A
Kolonialwaren und -handel gehören schon lange vor der aktiven Deutschen Kolonialpolitik – ab Ende des 19ten Jahrhunderts – zu Essen – und zum Alltag der Menschen. Der Handel mit Kolonialwaren war für die Stadt bedeutsam – für die Kaufleute war er äusserst lukrativ – gewinnbringend.

SPRECHER/IN A
Schon im Mittelalter hatten Essener Kaufleute über den „Hellweg“ Handelsverbindungen zu fast allen wichtigen Handelsplätzen der damaligen Zeit – von Flandern über England bis angrenzenden Ostseestaaten.
Am wichtigsten sind dabei die – die ziemlich nahegelegenden – Länder Niederlande und Belgien. Ab dem 15. Jahrhundert – sind es rege Handelsbeziehungen mit Antwerpen, Amsterdam, Nymwegen, Deventer und Geldern.
SND hist. Soundscape

SPRECHER/IN A
„Durch das Limbecker Tor kamen die Planwagen herein, die am Weseler Stapel die aus Holland kommenden Schiffsladungen eingefrachtet hatten: Kaffee, Zucker, Tabak, Korinthen, Reis, Öl, Gewürze und allerhand exotische Kuriositäten…“

SPRECHER/IN B
Viele bekannte Essener und Ruhr-Größen stehen mit Kolonialwarenhandel in enger Verbindung: Huyssen, Sölling, Waldthausen, Tengelmann und die Familie Schmitz-Scholl, Haniel und weitaus später noch die Aldi–Albrechts.

Für die Krupps sind die im Kolonialwarenhandel erworbene Gewinne
die Grundlage für den Aufbau erster industrieller Anlagen in Essen und Umgebung. Friedrich Jodocus Krupp betrieb sogar seit 1732 bereits in Essen ein Kolonialwarengeschäft.

Sein Sohn, Sohn Peter Friedrich Krupp wollte sich lange Zeit auf den Großhandel mit Kolonialwaren und vor allem Kaffee spezialisieren, weil hier hohe Spekulationsgewinne winken – schreibt er:
„Der Caffee ist mein Hauptgeschäft denn ich habe selbst eine Fabrique um den bloßen Caffee zufabricieren, und außer die Meinige ist in hiesiger Gegend nur noch eine in Duisburg in Thätigkeit, daher ich auch starken Debit in Caffee habe.“
Peter Friedrich Krupp in einem Brief an Geschäftspartner in Amsterdam

SPRECHER/IN B
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stammten die Bohnen vor allem aus der holländischen Kolonie Java, Indonesien.
Dazu kommt lange Zeit Rohrzucker aus Übersee – und fertig ist eines der größten Erfolgsgetränke, dass sehr schnell seinen Weg macht – vom Luxusgut – zum intensiv gehandelten – für damalige Verhältnisse – Massenprodukt.

Sabine Jecht:

O-TON Sabine Jecht
#000108# Zu Beginn war das ein ganz exklusives Produkt – aber die Einwohnerzahl in Essen ist zu dem Zeitpunkt sehr stark gestiegen – Essen ist im Zusammenhang mit dem Bergbau groß geworden. Auf der einen Seite hatten wir die Bergbau Industrie, auf der anderen Seite die Gewehrmanufaktur, und die Textilindustrie – oder sagen wir mal, das Tuchgewerbe. Das waren also die größten Wirtschaftszweige – und der Handel generell.

SPRECHER/IN A
Essen prosperiert also schon lange vor der Industrialisierung – und es sind nicht Bauern der Region und eher beschauliche Klosteranlagen, die den Umsatz machen. Lange bevor das Deutsche Reich selbst aktiv in den Kolonialismus – vor allen in Afrika einsteigt – ist die Wirtschaft – wie in Essen – tief verstrickt in den kolonialen Handel.
Mit Kolonialwarenhandel – aber auch über die Manufakturen für Tuch, Metallverarbeitung bis zur Gewehrmanufaktur. In der Logik des Kolonialen Handels kommen hierbei die Rohstoffe aus Übersee – im Tuchgewerbe Wolle aus dem Ausland, später sogar Baumwolle von amerikanischen Plantagen. In den Essener Manufakturen werden sie zu höherwertigen Produkten verarbeitet. Und gewinnbringend – nicht selten in die Kolonien – zurück verkauft.

SPRECHER/IN B
Für den Bereich der Tuchfabrikation konnten die Sabine Jecht und Peter Hiedl nachweisen, dass die fertig gewebten Tuche – mitsamt dem typischen Essener Muster – dem sogenannten ,Quadratstein‘ – als Arbeitsbekleidung wieder zurück in die Sklavenwirtschaft Amerikanischen Baumwollplantagen exportiert wurden.

Im Bereich der Kaffeeverarbeitung weisen die beiden darauf hin, dass es die Essener Gewehrmanufakturen waren, die – vom Aufschwung des Kaffeehandels angespornt – auch in die Produktion von – sehr begehrten – Kaffeemühlen eingestiegen sind. Kaffeemühlen – die nach Amerika gingen – und mit ihnen zugleich eine anderes früheres Erfolgsprodukt, wie Peter Hiedl berichtet:

O-TON Peter Hiedl
Die Essener Gewehre haben es bis in die amerikanische Geschichte gebracht und zwar liefen die Gewehre unter der Bezeichnung ‚Kentucky-Long-Rifle‘ – Das sind diese überlangen Gewehre, die vor allem Trapper für die Jagd verwendet haben – und die kamen ursprünglich tatsächlich aus Essen. Präzisionsgewehre. 
Hier in Steele gab es tatsächlich mindestens eine vielleicht sogar zwei Gewehrmanufakturen.

SPRECHER/IN A
Der erste, der dieses – schon langjährige – transkontinentale Treiben und Handeln deutlich unterbunden hat – war Napoleon. Um die Jahrhundertwende – Anfang des 19ten Jahrhunderts – verhängte Napoleon in seinem, europäisch weit ausgedehnten Einflussbereich, die sogenannte Kontinentalsperre – um vor allem Englands Wirtschaft zu schaden. Der Europäische Kontinent sollte auch langfristig möglichst autonom wirtschaften – Im großen Stil wurde etwa Rübenzucker angebaut – der sich bis heute – als Alternative für den lateinamerikanischen Rohrzucker – etablieren konnte.
Weit weniger erfolgreich waren die staatlich gelenkten Versuche – auch Kaffee zu ersetzten.

Kaffee aus Getreide, Früchten, Zychoriennkaffee… konnte sich allerdings nicht wirklich durchsetzen.

SPRECHER/IN B
Die Alternative war – weit verbreitet – geschmuggelter Kaffee.
Besonders umtriebig auf dem Gebiet – und dem Grenzgebiet zu Holland, zwischen Essen, Borken
Dies auch aufgrund eines regen Kaffeeschmuggels, an dem sich unter anderem die Krupps beteiligten: Von Borken aus an den Zollwachen vorbei lieferten Schmuggler im Auftrag Peter Friedrich Krupps im großen Stil Kaffee, den dieser in Spekulationsgeschäften gewinnbringend verkaufte.

SPRECHER/IN B
Der Essener Kaffeespezialist, -forscher und Röster Alex Kunkel:
#005355# …Napoleon macht Kontinentalsperre – und alles, was von aussen kommt ist schwierig – deswegen macht er es ja; der damalige existierende Welthandel – so weit wie er da war – Globalisierung natürlich nicht so wie heute; abgeschottet. Man wollte England abschotten vom Kontinent – auf Deutschland bezogen – dann wurde Kaffee unglaublich teuer – und dann konnte man durch Schmuggel irrsinnig viel Geld verdienen. Alles war rar ist wird geschmuggelt – immer, schon immer; und alles, was geschmuggelt wird, hat hohe Preise. automatisch. Also könnte man sagen, dass die ursprüngliche Akkumulation von Krupp unter anderem durch die sogenannte – man nannte das damals tatsächlich so – Profitbohnen entstand. 
Man sagte damals, sprach von Profitbohnen. Und zwar genau im Zusammenhang mit dem Schmuggel. Weil man wußte – das ist lukrativ.

SPRECHER/IN A
Deutschland beteiligt sich – schon lange vor der Reichsgründung 1871 – und lange vor eigener, aktiver Kolonialpolitik – am Kolonialhandel – weltweit. Die Profite aus dem kolonialen Handel sind kapitale Grundlagen auch für Essens industrielles Wachstum
Essen ist – mitsamt dem heute noch berühmten Personal – allen voran Krupp – tief eingebunden: Und besonders Kaffee – spielt bei der Geschichte der Industrialisierung eine besondere Rolle.
Kaffee – wird zum ,Schmiermittel der Industrialisierung‘;

SPRECHER/IN B
Mehr dazu – und mehr über die Kolonisation aus der Kaffeeperspektive – sozusagen – rund um Lazarettstraße – und die Nobel-Kaffeewerke

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