SND Soundscape / Ozeanisch
(Erzählduktus – Märchen/Erzählung)
Sprecher/in A

Franz Adam Schiffer, ein junger Essener Kaufmann und Schiffer unternahm seinerzeit etliche Reisen über die verschiedenen Meere. Eine seiner Reisen führte ihn nach Südamerika zur holländischen Kolonie Surinam, nördlich von Brasilien. Dort führte er ein erfolgreiches Leben zusammen mit seiner holländischen Frau. Nachdem diese verstorben war, kehrte er „mit reicher Habe“ in seine Vaterstadt Essen zurück.

Hierzu gehörten auch zwei Schwarze Jungen, die ihm bis dahin als Sklaven gedient hatten.

1730 in Essen angekommen, schenkte er den einen – den etwa sieben bis zehn Jahre alten der Brüder – der Fürstäbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulbach.

Sprecher/in BSie war die Regentin des freiweltlichen Frauenstifts Essen – der von Beginn an als Keimzelle für die Entwicklung der Stadt Essen gilt.
Die Stiftskirche, das Essener Münster, dient heute dem Ruhrbistum als Kathedrale.
Die von ihr gegründete Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung unterhält noch heute das von ihr gegründete Waisenhaus in Essen-Steele.

Sprecher/in A
Der andere Bruder diente dem Abt von Werden.

Sprecher/in B
In den deutschen Gebieten war Sklaverei keine legale Institution, allerdings war die Leibeigenschaft als legale Form menschlicher Unfreiheit noch etabliert. Daher wurde die Praxis des Verschenkens dieser Menschen ethisch nicht angezweifelt.

Sprecher/in A
Zunächst erhielten die Brüder – so belegen es die Dokumente – die ,christliche Unterweisung‘und wurden unter ,großem Volksandrang‘ öffentlich getauft. Bis heute sind nur die Taufnamen der beiden Jungen bekannt. Ihre tatsächlichen Namen finden keine Erwähnung.

Während der eine der Brüder, getauft auf den Namen Franziskus Xaverius Maximilianus, wie die meisten nach Europa eingeschiffte Sklavinnen, nach ihrer Ankunft nicht lange lebten,
diente der zweite Bruder, „Ignatius Christianius Fridericus, aus Mohren-Land gebürtig“ langjährig am Hof der Fürstäbtissin.

Die Aufgaben und Funktionen des Kammerdieners sind nicht eindeutig festzumachen.

Sein verzeichneter Nachlass lässt allerdings vermuten,

Sprecher B
– mutmasst und formuliert es die Dozentin für Geschichte der Frühen Neuzeit – Dr. Ute Küppers-Braun

Sprecher Z
„dass er die Fürstäbtissin und ihre kleineren oder größeren Gesellschaften durch Musizieren und Schaustellerei zu unterhalten hatte. Er besaß eine kleine Flöte, eine Violine, ein Violoncello, vermutlich auch eine Trompete. Auf Schauspielerei lassen zwei Schabaracken mit dazugehörigen Pistolen-Halftern, ein Paar Schieß-Pistolen und ein ledernes Reis-Seil schließen; ebenso eine schwarz schächterne Weste und Hose mit passender Kappe mit roten Ohren, auch ein bunt strohenes Saumfutter mit Gläser darin, vielleicht um afrikanische Tänze aufzuführen.“

Sprecher X
Nach dem Tod der Fürstäbtissin 1775 und einem für Hofdiener recht stattlichem Erbe an Ignatius diente er der neuen Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Sachsen.
Bei ihrem Einzug in Essen „hatte der Kammermohr ihre Schleppe zu tragen, beim Essen die Fürstin zu bedienen und später den hochrangigen Gästen den Kaffee zu kredenzen.“

Weitere Vorschriften, den Quellen nach:

Sprecher X
„Der Cammer-Mohr, welcher bey der Ankunft Ihro Königl. Hoheit an der S. Joannis Kirche in Bereitschaft stehen und Ihro Königl. Hoheit den Schlepp tragen muss, soll auch, so lang die Kirch wehret, etliche Schritt hinter Ihro Königl. Hoheit stehen, so dan Höchstdenenselben den Schlepp bis nach Hof tragen, so dan an der Thür des Audienzzimmers stehen bleiben, Ihro Königl. Hoheit den Schlepp an die Tafel und von der Tafel tragen, an der Tafel Hochstdenenselben aufwarten.“

Ungeachtet der Formalia: Am Hof der Essener Fürstäbtissinnen nahm Ignatius, der später den Beinamen Fortuna zugeschrieben bekam und auch benutzte, eine besondere Stellung ein. Er rangierte – hierarchisch gesehen – direkt hinter dem Beichtvater der Fürstäbtissin und dem Rentmeister. Anders als die anderen Bediensteten bewohnte er z.B. diverse, zum Teil sogar beheizte Zimmer in der ersten, der „belle etage“, gleich in der Nähe der Fürstin, während Lakaien, Knechte, Mägde und der Koch ihre ungeheizten Kammern in der zweiten Etage hatten.

Mit einigen, nicht unbedeutenden Reichtümern, die er bis dahin erspart und angelegt hatte, starb Ignatius Fortuna 1789, vermutlich an einem Schlaganfall.

Sprecher X
Die Familie Adam Schiffers, insbesondere die Kinder des Mannes, der den Jungen, der später auf den Namen Ignatius getauft wurde, nach Europa eingeschleppt hatte, meldeten sich ziemlich zügig bei den Verwaltern seines Nachlasses. Sie betonten die Verwandtschaft, die zwischen ihnen und ihrem „Bruder“ bestand und erhofften sich „untertänigst“ einen Anteil an dem Erbe des frisch Verstorbenen.

Sprecher Z
„Allein, da er […] bis zum letzten LebensHauch vernunftloß blieb, so was er ausser Stande, seine lezte Willensmeinung zu entdecken. Von Eurer Königl. Hoheit Höchsten Gnade wird es wohl […] einzig und allein abhangen, weme Höchstdieselbe die Hinterlassenschaft huldreichst zuwenden wollen.“

Sprecher X
Dem Kolonisierten, wird sehr grundlegend die Vernunft abgesprochen. Die Strategie ist hier eher individuell auf das Erbe ausgerichtet; die Argumentation bedient aber die verbreitete Grundannahme, der Kolonisierte sei weniger vernunftbegabt als die Nutznießer der Ausbeutung.

Sprecher Y
Das Schicksal eines anderen, damals schon berühmten und exponierten sogenannten ,Kammermohren‘ an einem Wiener Fürstenhof – Angelo Solimans – blieb Ignatius Fortuna erspart. Der jedenfalls wurde nach dem Tod ausgestopft und als Kuriosität dem wiener Publikum zu Schau gestellt.

Franziska Christine hingegen hatte in ihrem Testament angeordnet, Ignatius Fortuna in ihrer Nähe zu bestatten, so dass Ignatius Fortuna am 26. November 1789 – lange nach ihr – in der Kapelle des Waisenhauses zu Steele beigesetzt wurde, wo sich noch heute eine Gedenktafel befindet.

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